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Eigene Artikel zum Thema Tanz, Natur, Reisen
(erschienen in den Zeitschriften Neue Kreise
Ziehen, Kreise Ziehen und Lachesis-Journal)
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Im Großen Kreis des Lebens
Über das Heilende im Kreistanz
Wenn auch unser Anliegen
immer sein wird, Krankheit und Leiden zu lindern, so ist es
doch nicht wirklich wichtig, ob wir ' krank' oder ‚gesund'
sind, sondern nur, ob wir mit uns und dem Leben in Einklang
sind, ob wir uns selbst erkennen und mit Liebe in der Welt verwirklichen
können.
Seit vielen Jahren arbeite ich als Heilpraktikerin
im Bereich der Energiearbeit mit dem Schwerpunkt fernöstliche/chinesische
Medizin und Shiatsu. Ich bin vertraut mit den Energiebahnen/Meridianen
des menschlichen Körpers, mit Akupunkturpunkten und biodynamischer
Körperpsychotherapie. Zu Beginn meiner Arbeit als Shiatsu-Lehrerin
und Heilpraktikerin kam ich 'zufällig' in Kontakt mit Kreistänzen,
die mich tief berührten und in einer Zeit persönlicher
Trauer segensreiche Heilung bewirkten. Meine armen Shiatsu-Schülerinnen
waren seither mit meiner Kreistanz-Leidenschaft konfrontiert,
manchmal zu ihrer Freude, manchmal auch befremdet von meiner
Mixtur aus asiatischer Lebensphilosophie, europäischer
Folklore und Kräuterheilkunde, gemischt mit Konzepten alternativer
Heilung, feministischer Weltanschauung, weiblicher Spiritualität
und Geschichte.1)
Für mich gehörte das alles im Kreis
zusammen, gefaßt unter dem großen Begriff von Energie
und Tanz des Lebens/der weiblichen Schöpfungs- und Wandlungskraft.
Während ich in den ersten Jahren Kreistänze für
Jahreskreisfeste und pädagogisch nutzte, um die 5 Elemente
der chinesischen Medizin sinnlich erfahrbar zu machen, fanden
sie mit ihrer zauberhaften energetischen Wirkung immer mehr
den Weg in meine Heilungsarbeit. Es waren vor allem traditionelle
Tänze wie Syrtos, Kritikos und Pravo Horo, die ich am eigenen
Leib in ihrer Heilwirkung erfahren habe. Die Vibration bulgarischer
und griechischer Tänze in der Körperachse stellte
manche bioenergetische oder Chakra-Übung in den Schatten
und erst recht die später aufkommenden "Rückenschulen".
Daß bulgarische Bäuerinnen nach der schweren Erntearbeit
ihre Tänze zur Prävention von Rückenschmerzen
nutzen, ist kein Wunder.
Viel Heilsames ist mir seither im Zusammenhang
mit den Kreistänzen begegnet. Sehr beeindruckt hat mich
die Legende der süditalienischen Tarantella: Kranke Menschen
wurden in ihrem Bett auf den Dorfplatz gebracht und mit der
Tarantella so lange stimuliert, bis sie selbst tanzend wieder
am Rhythmus des Lebens teilhatten. Wahrscheinlich ist es eine
seelische Erkrankung, die auf diese Form der kollektiven Energetisierung
und Fürsorge anspricht. Manche meinen, die Heilwirkung
der wilden Tarantella bestehe darin, daß sie Frauen erlaube,
ihre Erotik ungezähmt auszudrücken (Alessandra Belloni).
Die Tanzethnologinnen Ana Ilieva und Ana Shtarbanova berichten
von bulgarischen rituellen Heilungstänzen, die mitsonnen,
also linksherum getanzt werden. Es ist einerseits die Kraft
der Anderswelt/der AhnInnen, die hier zu Heilung eingeladen
wird, andererseits wird die "verlorene" Seele aus
dem Reich der Toten ins Leben zurückgetanzt. (Im Moment
der Heilung/wenn die Seele erreicht ist, wird sofort in die
Gegenrichtung getanzt). Ein altes schamanisches Motiv der Seelenrückholung
hat sich hier erhalten und bietet sich auch für unsere
Tanz-Ritualarbeit an. Oft genug erlebe ich, wie Frauen im Tanz
allmählich ihre Körperseele zurückholen, sich
nach Jahren/Jahrhunderten der Zersplitterung durch körperlich-seelische
Traumatisierung und Abwertung von FrauSein wieder ganz in ihrem
Körper beheimaten. Es ist ein Geschenk für mich, das
zu erleben oder einen solchen Prozess begleiten zu dürfen
- inzwischen auch in Einzelarbeit in der Praxis.
Beeindruckt haben mich auch die vielfältigen
Bezüge zur chinesischen Medizin und Körpertherapie,
die ich im Laufe der Jahre entdeckte: Viele Tänze arbeiten
mit der Aktivierung der Meridiane/Energieleitbahnen. Bei der
Kleinfingerfassung etwa stimulieren wir stetig den Herzmeridian,
der dort endet, ebenso beim Stampfen mit der Ferse. Nach chinesischer
Auffassung ist das Herz der Sitz von Mut und Wahrhaftigkeit,
und so ist es nicht verwunderlich, daß Tänze des
Widerstandes wie Omal und Bablekan diese Elemente enthalten.
"Kämpfen mit den Füßen" nannte ein
kurdischer Musiker den Bablekan. Trancegleiche und meditative
Qualitäten vieler Tänze führen zu ganzheitlicher
Entspannung. Durch die allgemeine Aktivierung von Atmung und
Stoffwechsel entsteht eine organische Kräftigung und Heilwirkung
in einer harmonischen und umfassenden Weise wie es kaum ein
Konditionstraining vermag. Hinzu kommen die psychotherapeutischen
und spirituellen Komponenten, die vielen Kreistanzenden so selbstverständlich
sind: Die Ganzheitlichkeit des körperlich-geistig-seelischen
Angesprochenseins, das Mitschwingen in der Gemeinschaft und
in der Energie des Jahres- und Lebenszyklus. Körper und
Seele erhalten in diesem Bewegungs-Energiefeld immer wieder
neu die Möglichkeit zur Selbstregulation. Wie oft kommen
Frauen niedergeschlagen oder mit Kopfschmerzen in einem meiner
Abendkurse an und gehen erfrischt, aufgerichtet, schmerzfrei
und beseelt nach Hause. 2)
Wenn ich über das Heilende in Kreistänzen
spreche, komme ich nicht darum herum, mich zu fragen, was Krankheit/Gesundheit
und Heilung eigentlich ist. Zum Glück gehöre ich einem
fortschrittlichen und sehr frauenfreundlichen Verband von Heilpraktikerinnen
an, der sich darüber seit Jahren viele gute Gedanken macht:
Lachesis e.V. Selbst viele Jahre von einer schweren chronischen
Erkrankung betroffen hat sich mein Verständnis von Krankheit
und Heilung sehr verändert: heutzutage sehe ich es als
durchaus gesund an, auf gewisse Lebensumstände mit Krankheit
zu reagieren. Andererseits betrachte ich es eher als krank,
zerstörerische Lebensumstände einfach "wegzustecken".
In vielen Nächten ohne Schlaf, zermürbt durch eine
Jahre andauernde Allergie, ist mir darüber hinaus klar
geworden, daß viele Menschen ohne Hoffnung auf Heilung
mit Krankheiten - manchmal auch mit dem nahen Tod - leben und
diese alltäglich irgendwie in ihr Leben integrieren müssen.
Wie oft habe ich in meiner Verzweiflung und Erschöpfung
niemanden mehr sprechen und sehen, am Leben nicht mehr teilhaben
wollen. Wie oft fühlte ich mich von wohlgemeinten Rat-Schlägen
erschlagen. Eine große Hilfe war mir in dieser Zeit das
Kreistanzen. Es half mir, mich ohne anstrengende Worte in den
Rhythmus des Lebens, in die Gemeinschaft einzubinden und Anteil
zu haben, und das gab mir in meinem Elend ein gutes Gefühl.
Ich sah Menschen, die scheinbar 'gesund' waren und doch isoliert
und unverbunden. Ich begriff, daß Krankheiten zu unserem
lebendigen 'gesunden' Leben gehören und daß Heilung
nicht bedeutet, die Erkrankung zu beseitigen - was oft genug
gar nicht geht, und wo unsere Demut gefragt ist (und doch: wie
oft habe ich mir einfach nur Linderung gewünscht). Heilung
bedeutet vielmehr, nicht aus dem Leben zu fallen, verbunden
zu bleiben bis in den Tod und darüber hinaus. (siehe dazu
auch den Artikel von Anina zu Tanzen und Brustkrebs)
Unschätzbar ist hier die Kraft der Kreistänze:
Sie schaffen eine vielfältige energetische Verbindung mit
der Lebensenergie, mit der Gemeinschaft, mit den Zyklen der
Natur/der Jahreszeit/des Lebens. Es ist ja gerade dieses Mitschwingen
in allem was ist, was Harmonie herstellt und Heilung ermöglicht.
Und da alles sich bewegt, da Energie sich bewegt und alles ein
Tanz ist, wie sollte es einen besseren Weg zur Heilung geben
als den Tanz selbst? Und noch einmal: Heilung ist nicht das
Verschwinden der Krankheit, sondern das Tanzen mit ihr. Krankheit
entsteht aus Sicht der chinesischen Medizin durch Staus und
Erstarrung: die Lebensenergie kann nicht mehr frei fließen.
Durch das Tanzen können wir sie wieder in Bewegung bringen
und kommen mit heilsamen Gefühlen wie Trauer, Freude, Zorn
und Erotik in Kontakt. Ja, Freude und Erotik - diese wunderbaren
Göttinnen! Sie haben vielleicht die stärkste Verbindung
zum Tanz. Sie setzen unsere Glückshormone frei und lassen
unsere Körperzellen Feste feiern, lachen und tief durchatmen.
Aber nur mit ihren Schwestern Trauer, Zorn, Furcht und Sympathie
bilden sie einen Kreis, in dem die Chi-Energie frei fließen
kann (dies sind die Fünf notwendigen Emotionen der chinesischen
Medizin, zugeordnet dem Wandlungskreis der Fünf Elemente)
Wenn ich das Kreistanzen insgesamt als ganzheitliche
Heilweise betrachte, dann sind mir die Tänze selbst so
etwas wie Medizin geworden - mit jeweils unterschiedlicher Wirkung.
Mit jedem Tanz spreche ich andere Verbündete oder Kräfte
an: zum Beispiel einzelne Elemente wie die Erde oder spezielle
Heilpflanzen (etwa in Bachblüten- oder Kräutertänzen).
Stampfen schafft mir vielleicht den Zorn als Verbündete,
Sprünge den Lebenswillen, Wiegen die gute Mutter und den
Trost, Rückwärtsschritte Erinnerung und Ruhepausen.
Tänze mit Toren, in Spiral- und Schlangenform unterstützen
die Energie der Verwandlung. Der stetige Fußwechsel fördert
die Links-Rechts-Balance. Zu vielfältig sind die Möglichkeiten
und manchmal recht subtilen Wirkungen, um sie hier aufzuzählen.
Wie in anderen Naturheilweisen gilt: Der Mensch steht im Vordergrund
und nicht das Symptom. Es ist notwendig, einen Tanz zu finden,
der mit dem Wesen dieses einen Menschen in Resonanz geht, und
das mag trotz gleichem Symptom für jeden Menschen ein anderer
Tanz (oder ein Tanzbündel) sein. Wesentlich für diese
Resonanz sind auch Musik und Rhythmus, die einen Menschen "ergreifen"
und tief berühren können, ganz besonders in den gesungenen
Tänzen. Die Gruppe schafft dabei immer Halt und Verstärkung
des energetischen Feldes, bei gesungenen Tänzen auch des
Klangfeldes, das um so vieles intensiver und obertonreicher
ist als die Musik aus dem CD-Spieler. Wenn wir einen Tanz in
einer Gruppe intensiv tanzen und dann einzeln damit weiterarbeiten,
dann schwingt, wenn wir uns ganz hingeben, in dieser Arbeit
oft das Energiefeld der Gruppe mit - es entsteht ein Raum-Zeit-Kontinuum.
Kennen wir nicht alle, daß ein Lied in uns weitersingt,
ein Tanz in uns weiterschwingt noch Stunden oder Tage nachdem
der Tanztag vorbei ist, anfangs noch bewußt, später
dann in tiefere unbewußte Schichten gesunken, aus denen
die Melodie als Energieträger irgendwann unvermutet wieder
auftaucht?
So ist das Heilmittel Tanz auch in der Einzelarbeit und auch
mit der Musikkonserve wirksam, besonders durch das längere
Tanzen traditioneller Tänze, in denen die Kraft und Weisheit
unserer AhnInnen mitschwingt und die in der Wiederholung ähnlich
einem homöopathischen Mittel ihre Potenzierung erfahren.
Susun S. Weed beschreibt in dem schönen Buch "HeilWeise",
daß eine gute Medizinfrau nicht viele Kräuterverbündete
in ihrem Medizinbeutel braucht, wenn sie diese nur gut kennt.
So ist es auch mit den Tänzen. Wenige Tänze, die wir
in ihrer Tiefe kennengelernt und zu unseren Verbündeten
gemacht haben, sind eine wirksamere Medizin als eine große
Tanzsammlung. Übrigens: nicht alle Menschen sprechen auf
das Heilmittel Tanz an, wie auch nicht alle auf Homöopathie
oder Shiatsu ansprechen. Es ist eben nur ein Weg unter vielen
möglichen - aber ein Weg voller wunderbarer Erlebnisse!
Und ein Weg, der andere Therapien sehr gut ergänzt. Erwähnen
möchte ich noch, daß das Kreistanzen für Menschen,
die im Heilungsbereich arbeiten, eine wertvolle Möglichkeit
sein kann, Kraft zu schöpfen und für ihr Gleichgewicht
zu sorgen. Ich wünschte, ein solches Angebot könnte
zum selbstverständlichen Bestandteil jeder Klinik werden,
wie es zum Beispiel in der bekannten psychotherapeutisch und
onkologisch arbeitenden Habichtswaldklinik in Kassel der Fall
ist - als spirituelle Begleitung für KlientInnen und KlinikmitarbeiterInnen.
Und was für mich eigentlich selbstverständlich ist:
Genau wie Shiatsu ist das Kreistanzen ursprünglich präventiv.
Es beugt Erkrankungen vor, indem es rechtzeitig für die
seelisch-körperliche Balance im Alltag sorgt. 3)
Krankheit ist eine Form, in der sich die Lebensenergie
äußert, oft steckt darin ein großes Kraftreservoir
- manchmal auch kaum erträgliches Leiden. Wenn es gelingt,
die gebundene Energie in eine andere Ausdrucksform zu wandeln,
kann das Leid/können die Symptome gelindert werden. Was
ich im Kreistanz für diesen Prozess so schätze, ist
die Kreisform selbst mit der Mitte, dem Ort der Wandlung, den
wir mit unseren Schritten umwandeln, das große Gefäß,
in dem Wandlung/Heilung geschehen kann. Mehr als nur unsere
kollektive Kraft wirkt dort: die Elemente/das Unnennbare/das
Dao/Göttin/Gott/die Geister - wie immer wir es nach persönlicher
Glaubensvorstellung nennen mögen: Ein besonderer Ort für
Segnungen und Rituelle Heilungsarbeit. Ob Heilung geschieht,
ist nicht nur von unserem persönlichen und kollektiven
Wirken abhängig, es ist auch ein Geschenk, ein Wunder oder
eine Gnade aus der Begegnung mit dem Unnennbaren. Was uns jedoch
immer möglich ist, ist im Tanz den Kontakt zu diesem Bereich
herzustellen und Heilung zu wirken im Sinne von Dasein, Verbinden,
Aufnehmen und Halten von Allem-Was-Ist im Tanzkreis und damit
im großen Kreis des Lebens.
1)
Im Folgenden beziehe ich mich auf eine Art zu tanzen, die in
den letzten 25 Jahren in Westeuropa wiederentdeckt wurde, und
die ihre Wurzeln in den Jahrtausende alten Tänzen Alteuropas
hat, die heute noch besonders im Balkanraum, den Mittelmeerländern
und Kleinasien lebendig sind. Ergänzt durch moderne Choreografien
zu teils klassischer Musik wurde sie im Westen als Sacred Dance,
Sakraler Tanz, Meditativer Tanz, Kreistanz, Ritueller Kreistanz
bekannt. Vom Volkstanz unterscheidet sie sich trotz teilweise
gemeinsamem Tanzgut dadurch, daß sie weder auf Sportlichkeit
noch auf Aufführungen hin angelegt ist, sondern rein auf
das Tanz- und Gemeinschaftserleben, und insbesondere auf energetische,
rituelle und feinstoffliche/spirituelle Prozesse. Innerhalb
dieser Kreistanzbewegung gibt es allerdings ein großes
Spektrum. So wird in manchen Kreisen mit vielerlei neuen Choreographien
mitunter recht körperfern/vergeistigt getanzt. Das thematische
Spektrum reicht von den sieben Kreuzwunden Christi bis zur tanzenden
Göttin und Menstruationstänzen.
Ich beziehe mich hier auf eine Richtung, die schwerpunktmäßig
die energetische Kraft und Weisheit einfacher traditioneller
(Frauen-)Tänze wiederentdeckt und im gesellschaftlichen
Kontext für die spirituellen Bedürfnisse westeuropäischer
Frauen nutzbar macht, darüber hinaus aber auch moderne
Choreografien entwickelt und integriert. Der Begriff Kreistanz/Kreistanzen
meint dabei nicht wörtlich das Tanzen in einem durchgefassten
Kreis. Viele der traditionellen Tänze wurden und werden
in Reihe, in offenen Kreisen oder Spiralform getanzt, besonders
im rituellen Kontext. Ich habe mich für die einfache Bezeichnung
Kreistanz entschieden, weil es bei dieser Art zu tanzen um das
Bezogensein auf etwas Gemeinsames, um eine innere und äußere
Mitte geht. Mitunter verwende ich auch die Bezeichnung Sakraler
oder Ritueller Tanz, um den spirituellen Aspekt hervorzuheben.
Kreistanz hat sich in nur zwei Jahrzehnten in der gemeinschaftstanz-armen
westlichen Welt ausgebreitet, in Nord- und Südamerika ebenso
wie in Australien und Westeuropa. Viele Menschen verbinden sich
auf diese Weise wieder mit ihren Wurzeln/den Ländern aus
denen ihre Vorfahren einst kamen. Das, was Menschen von Anbeginn
an taten und was in den letzten Jahrhunderten isolierender westlicher
Zivilisation und Religionspraxis verlorenging, findet wieder
statt: gemeinsam tanzend die Lebenskräfte ins Gleichgewicht
zu bringen.
2) Die Lebensenergie, die
wir tanzend in Fluß bringen, verstärken und balancieren
ist mir aus dem Shiatsu und der chinesischen Medizin als Ki
oder Chi gut bekannt. Im Tanz nehmen wir das Chi der Erde durch
die Fußsohlen und Hände auf, das Chi des Himmels
durch die Atmung und je nach Tanz über Scheitel, Arme und
Hände. Besonders die traditionellen Tänze helfen uns
durch ihre federnden, vibrierenden Schritte, diese Energie über
die Durchlässigkeit von Knie-, Schulter- und Ellbogengelenken
zu fördern und sie im Körper wie im gesamten Tanzkreis
zu verteilen. In meiner Wahrnehmung gibt es auch eine ancestrale
Energie/AhnInnenenergie, die den Tanzkreis von hinten stärkt
und hält (etwa die Präsenz derer, die vor uns ein
Tanzmuster tanzten, die mit ihrer Weisheit unsichtbar hinter
uns stehen und uns in unsere Aufrichtung hineinhelfen). Dies
entspricht exakt der Funktion der Wassermeridiane auf unserer
Körperrückseite. Zur gemeinsamen Mitte hin öffnen
und dehnen wir in der W-Fassung die Feuermeridiane, deren Thema
auch in der TCM (Traditionellen Chinesischen Medizin) Kommunikation
und Gemeinschaft ist.
Ich sehe es so, daß das Kreistanzen, das vor der Zeit
der Hexenverfolgung in ganz Europa verbreitet war, die alltägliche
westliche Form von Chi Gong, Körperarbeit und zugleich
Ritualpraxis war, und sie ist es heute noch für viele Menschen
in den Balkan- und Mittelmeerländern - und kann es auch
heute für uns wieder werden
.3) Laßt uns diese
Idee und Erfahrung in Fitnessstudios, Kliniken, Kirchengemeinden,
Bildungswerke, Betriebe und zu den Krankenkassen tragen. Es
braucht keine teuren Geräte oder Medikamente, nur einen
Raum (den genau diese Einrichtungen haben), die Musik, die Tänze
und uns.
Literaturhinweise:
Bisher gibt es noch wenig Literatur speziell zum Thema Kreistanz
und Heilung. Ich freue mich über weitere Hinweise, z.B.
aus dem Bereich der Tanztherapie.
Fachartikel
· Anina: Tanzen und Brustkrebs - Mein Brennnesselsommer
2003, in Kreise Ziehen 4/2003
· Alessandra Belloni: CD Tarantata - The Dance of the
Ancient Spider
· Anna Ilieva, Anna Shtarbanova: Traditionelle rituelle
Heiltänze in Bulgarien, in Kreise Ziehen 1/2004, sowie
meine persönlichen Aufzeichnungen aus ihren Tanzseminaren
· Birgit Wehnert: Eine Regenbogenbrücke zwischen
den Welten - Kreistänze zu Trauer Abschied und Tod, in
Lachesis-Journal 28/2001 zu Sterben und Tod
· Birgit Wehnert: Denn wo ist Heimat, in Kreise Ziehen
1/2003
· Birgit Wehnert: Tanzende Ahninnen, in Kreise Ziehen
4/2003 Frauentanz - Frauenleben
· Heiltänze - Das Heilende in Kreistänzen,
Kreise Ziehen 1/2004, div. AutorInnen, darin:
Birgit Wehnert: Im großen Kreis des Lebens - Über
das Heilende im Kreistanz s.o.
· Sylvia Tavernini: Eigenen Boden unter die Füße
bekommen in: Elisabeth Camenzind/Kathrin Knüsel (Hrsg.):
Frauen schaffen sich Heimat in männlicher Welt
Heilung/Shiatsu/Meridiane/Chi-Energie
· Susun S. Weed: Heilweise
· Carola Beresford-Cooke: Shiatsu
Kreistanzbücher allgemein - kleine Auswahl
· Amei Helm: Buch-CDs Healing Journey, Möge Heilung
geschehen und Beautiful Planet
· Anastasia Geng: Bachblütentänze
· Hilda Maria Lander, Maria Regina Zohner: Meditatives
Tanzen
· Maria Gabriele Wosien: Sakraler Tanz
· Ziriah Voigt.: Ritual und Tanz im Jahreskreis, Buch
und CD
Beitrag für den Kongress
"Kompetenz in Frauenhand" des Heilpraktikerinnenverbandes
Lachesis e.V. 2004 in Berlin im Rahmen des Tanzworkshops "Denn
wo ist Heimat - Über das Heilende im Kreistanz", veröffentlicht
in der Fachzeitschrift Lachesis-Journal Nr. 33/Mai 2005, auszugsweiserVorabdruck
in der Zeitschrift Kreise Ziehen 1/2004 zum Thema Heiltänze/Das
Heilende in Tänzen
© Birgit Wehnert 2004 , Heilpraktikerin, Shiatsutherapeutin
GSD, Diplom-Pädagogin mit Praxis für Shiatsu und Tanzheilpädagogik
in Kassel, eigenes Seminar-, Fortbildungs- und Reiseprogramm
FRAUENWEGE, Königsberger Str. 1, 34549 Edertal, Tel./Fax
05621-5143
www.kreistanzen.de, mail: BirgitWehnert@aol.com
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Quelle des Lebens
Am Anfang war das Wasser
Unsterblich ist das Geheimnis des
Tals
Als das Verborgen-Weibliche ist es bekannt.
Das Tor des Verborgen-Weiblichen
Ist die Quelle von Himmel und Erde.
Ewig und endlos tritt sie in Erscheinung
Unerschöpflich ist ihre Kraft.
(Tao te Ching)
Am Anfang war das Wasser - So beginnen Schöpfungs(!)geschichten,
so beginnt das Leben auf unserem Planeten und unser eigenes
Leben: geboren aus dem Fruchtwasser unserer Mutter. Oder geholt
vom Storch aus dem Kinderbrunnen, dem Kinderbörnchen, dem
Weiberborn?
Als ich Kind war, besaßen meine Großeltern einen
Acker vor der Stadt, auf dem ein großer Kirschbaum stand.
Einmal im Jahr kam die ganze Familie zusammen zur Kirschenernte,
worauf wir Kinder uns immer sehr freuten. In der Nähe lag
eine Quelle, zu der meine Großmutter uns Kinder in der
Mittagspause führte, die von einem großen Geheimnis
umgeben war, das sie uns alljährlich mit ihren einfachen
Worten erzählte: Aus diesem Börnchen am Fuße
einer großen Trauerweide nämlich holte der Storch
die Kinder, und auch wir alle, jedes einzelne von uns, waren
aus dieser Quelle gekommen. Nachfragen über den genauen
Ablauf weigerte sie sich zu beantworten. Es waltete auch ein
strenges großmütterliches Gebot, daß auf der
angeblichen Unverträglichkeit von Kirschen und Wasser beruhte.
Jedes Jahr mußten wir schon am Vormittag entscheiden:
Entweder Kirschen essen oder mittags vom Wasser des Grunzelsbörnchen
trinken. Was das bedeutete in einer Zeit, wo Obst die einzige
Süßigkeit war! Und dennoch, jedes Jahr aufs Neue
entschieden die meisten von uns für das geheimnisvolle
Wasser. Kein Wasser hat mir je süßer geschmeckt,
und ich bin heute noch froh, daß ich die Quelle kenne,
aus der ich stamme, die mich mit so vielen anderen Menschen
verbindet.
Eng ist seit jeher die Verbindung zwischen der
weiblichen Schöpfungskraft, dem Wasser und dem Heiligen.
Feuchte-Mutter-Erde etwa heißt die Göttin der Slawen,
ungezählt sind die heiligen Quellen mit ihren Hüterinnen
und Quellgöttinnen, wie Artemis und Afrodite im griechischen,
Brigid im iro-keltischen, Sirona, Verena und Holda im germanisch-keltischen
und schließlich Maria im christlichen Kulturraum, um nur
wenige zu nennen. Die meisten Flüße und Bäche
sind bis zum heutigen Tag weiblich: die Eder, die Ems, die Weser,
die Donau (bis auf die wenigen, die wie der Rhein im Einflußbereich
der patriarchalen Römer lagen). Auch an Göttinnen
des Meeres mangelt es nicht: Zu den bekanntesten gehören
die brasilianische Yemaja und die Sedna der Inuit. Unzählige
weibliche Wesen bevölkern das Wasser: Nixen, Wasserjungfrauen,
Melusinen und andere, die Menschen mit ihrer Erotik verzaubern,
sie beschenken oder für immer in ihre Wasserwelt entführen.
Die tiefe Verehrung, die Menschen dem Wasser und
damit auch dem Weiblichen entgegengebracht haben, spiegelt sich
nicht nur in Märchen und Sagen, sie findet sich auch in
den jungsteinzeitlichen Wassersymbolen: den Wellen- und Zickzacklinien
auf unzähligen kleinen Frauenidolen und Kultgefäßen,
am schönsten in folgender Kombination: ein flüssigkeits-spendendes
mit Zickzacklinien verziertes Gefäß in Form eines
Frauenkörpers, aus dessen Brustöffnungen das Naß
strömt (Kreta). Das Schoßdreieck ziert ein Netzmuster
- es ist benetzt, und aus dieser Feuchtigkeit entsteht das Gewebe
des Lebens (wunderbar herausgearbeitet in "Die Sprache
der Göttin" von Marija Gimbutas). Wassermuster begleiten
uns ständig in Tanzschritten, im Zickzack von Cocek, Horo,
Syrtos und unzähliger anderer alter und neuer Tänze,
in der W- und V-Fassung, in den Mayim(=Wasser)schritten israelischer
Choreografien, in den Stickmustern, Fransen und Kämmen
(= Regenbedeutung) der Tänzerinnen.
Wasser und Milch, weibliche Schoß- und Nährkraft
- das bedeutet Leben und ewige Erneuerung. Wer kennt nicht die
Geschichte vom sagenhaften Wasser des Lebens, von dieser geheimnisvollen
Quelle, die nur durch die Lösung schwieriger Aufgaben zu
erreichen ist und die dem Lebensmüden Heilung und Verjüngung
verspricht? Hier ist vermutlich mehr von einer symbolischen
Quelle im Sinne des Grals, des Einswerden mit der weiblich-
göttlichen Kraft der Erneuerung die Rede. Es gibt aber
auch die realen Heilquellen und Gesundbrunnen, deren Wasserqualität
zur Einrichtung unserer Heilbäder, von Trink- und Badekuren
geführt hat. Meine Geburtsstadt Wiesbaden gehört dazu,
dort entspringt das Wasser aus 27 Heilquellen teilweise kochendheiß
aus der Erde. Quellen, die wegen ihrer spirituellen Heilkraft
verehrt wurden, sind heutzutage oft der Maria geweiht, wie etwa
der Liebfrauenbrunnen in Werbach. Andere machen uns als Augenquellen
im doppelten Sinne sehend oder vollbringen wie in Lourdes Wunder
und sind das Ziel großer Wallfahrten. An manchen Orten
steht außer einer Kirche/Kapelle als heidnisches Relikt
noch ein besonderer Lebensbaum mit dem Wasser des Lebens in
Verbindung. (Auch in der germanischen Mytholgie entspringt der
Urdbrunnen am Fuße der Weltesche Yggdrasil, gehütet
von den drei Schicksalsgöttinnen).
Wen wundert es, daß uns die Symbolik des
Wassers durch unser ganzes Leben in unseren Sakramenten begleitet
als Taufwasser, Weihwasser, in Reinigungsritualen (Rituelles
Bad, Mikwe, Schwitzhütte, Sauna etc.), selbst in der Totenwaschung,
mit der wir symbolisch wieder zum Ursprung zurückkehren?
Wasserrituale gibt es in allen Völkern, denn nichts ist
so bedeutend wie Wasser: wir bestehen zu 70% daraus und können
nicht länger als drei Tage ohne Wasser leben. Und was wäre
unsere Nahrung ohne Wasser? Weder Ackerbau noch Tiere kommen
ohne die Wasserstellen der Erde und das lebensspendende Naß
des Himmels aus. Wasser ist Leben und macht unseren Planeten
bewohnbar.
Menschen verehrten und heiligten daher das kostbare
Naß durch ihre Rituale: kleine Gaben an die Quelle, die
ins Wasser geworfen wurden (welche hat nicht schon mal eine
Münze in einen Brunnen geworfen?), das Tanzen an Wasserstellen,
das Schmücken von Brunnen. Bei diesen traditionellen Frauenritualen,
die teilweise nackt vollzogen werden, darf - wie uns aus u.a.
Tschechien und Böhmen für die rituelle Brunnenreinigung
überliefert ist - kein Mann zugegen sein. Die bulgarischen
Tanzethnologinnen Anna Ilieva und Anna Starbanova berichten
vom Einholen des Wassers für das Ritualbrot durch die jungen
Frauen: jede Schöpfung wird mit dem Leko Horo (Pravoschritt)
betanzt, erst nach der dritten Schöpfung/dem dritten Tanz
ist das Wasser "gut". Im Baltikum und Skandinavien
finden in der Mittsommernacht Wasserrituale an Flüssen
statt. In England geht man zum Wünschen an Wünschelquellen
(wishing well). In Nordhessen bringen Frauen noch heute andächtig
Blumen zu den Hollequellen am Hohen Meißner, ja tauchten
früher selbst in das Wasser ein, um ein Seelchen aus dem
Reich der Frau Holle zu empfangen. In Indien nimmt die große
Flußgöttin Ganga die Asche der Toten wieder zurück
in ihren feuchten Schoß.
In meinem Dorf, das direkt an der Eder liegt,
gibt es einen schönen Taufbrauch: die Pfarrerin tauft das
Kind mit drei Wassern, die die Eltern geschöpft beziehungsweise
gesammelt haben: Regenwasser/Tau, Brunnenwasser und Flußwasser.
So wird das Kind mit den Kräften des Himmels und der Erde
gesegnet und mit dem Reich der Menschen verbunden, die am Fluß
leben. Es ist mit allen Wassern gewaschen..
Aus Franken und Nordhessen (wiederbelebt in Heilbädern
wie Bad Wildungen) kennen wir das Reinigen und Schmücken
der Brunnen zu Ostern mit herrlichen Brunnenkronen aus Blumen,
Birkenzweigen und Eiern. Früher gingen in der Osternacht
(wie auch in der Weih- und Neujahrsnacht) die jungen Frauen
schweigend das heilige Osterwasser holen. Was sich hier wiederspiegelt
ist ein tiefes intuitives Wissen um die einzigartige Fähigkeit
von Wasser, energetische Informationen zu speichern. Homöopathie
und Bachblütentherapie sowie verschiedene Wasseraufbreitungsmethoden
machen sich dies schon lange zunutze.
Unter Milliarden Schneekristallen gibt es keine
zwei identischen. Eine geschmolzene Schneeflocke, die wieder
gefriert, findet wunderbarerweise genau in ihre einzigartige
Kristallform zurück! Den eindrucksvollen optischen Beweis
für dieses "Wassergedächtnis" lieferte uns
der Japaner Masaru Emoto mit seinen Fotoaufnahmen von Wasserkristallen:
Unglaublich, welche unterschiedlichen Formen voller Schönheit
durch Segnung, Beten oder Beschallen mit beseelter Musik entstehen.
Jedes Kristall wirkt wie ein Kreistanzmuster oder Mandala. Wasserstrukturen,
die Störungen ausgesetzt waren, schaffen es dagegen nicht
mehr, sich harmonisch zu ordnen. So bleibt also schweigend geholtes
Osterwasser ungestört von Geschwätzigkeit in seiner
Ursprungskraft.
Mit Freude habe ich in meinen Tanz- und Ritualgruppen
einige Wasserbräuche wiederbelebt. Das andächtige
Quellwasserholen berührt oft zutiefst. Eine Teilnehmerin
erzählte mir später: "Nun bin ich schon fast
60 Jahre alt und war zum ersten Mal in meinem Leben an einer
wirklichen Quelle". Gerne stelle ich auch beim Tanzen Wasser
in die Mitte, von dem alle trinken dürfen. Wenn es in einer
offenen Schüssel steht, beginnt es - oh Wunder - zu kreisen.
Welche unsichtbaren Mandala-Muster mögen wohl durch unterschiedliche
Tänze in den Wasserkristallen und somit auch in unseren
Körperzellen entstehen?
Besonders deutlich wird die Verbindung von Wasserritualen
und Tanz in Ackerbaugesellschaften, die lange Hitze/Trockenperioden
erleben und die für das Wachstum dringend auf rechtzeitig
und ausreichend einsetzenden Regen angewiesen sind. In Bulgarien
und im ganzen slawischen Raum wird Dodola/Dodole um Regen gebeten:
Sie geht in Gestalt eines nackten Mädchens von Haus zu
Haus, ganz bedeckt mit grünen Blättern und Blumen.
Sie singt und tanzt, und es ist Aufgabe der Hausfrau, sie mit
einem Eimer Wasser zu übergießen. So wird der Regen,
der das sieht, animiert sich auf die Erde zu ergießen.
Dieser verbreitete Brauch ist laut Grimm im 11. Jahrhundert
auch vom Rhein und aus Hessen überliefert, wo eine nackte
junge Frau mit Bilsenkraut bedeckt zum Fluß geführt
und von ihren Gefährtinnen besprengt wird. Regentänze
sind vielleicht überhaupt die ursprünglichsten aller
Tänze. Das Schwitzen, Stampfen und Zittern imitiert und
initiiert auf der materiellen wie der energetischen Ebene Wasserbewegung
und Wasserfluß. Wasser selbst befindet sich ja in einem
permanenten Kreistanz/in einer zyklischen Bewegung (wir alle
haben den Kreislauf des Wassers in der Schule gelernt): Als
Regen fällt es zur Erde, strömt zum Ozean und steigt
wieder auf zum Himmel. Dazwischen tanzt es in Mäandern,
Wellenlinien, es springt und steht still, steigt auf und fällt.
In vieler Hinsicht gleicht es den Rhythmen des weiblichen Körpers,
die wie Ebbe und Flut vom Mond beeinflußt werden.
Wie steht es aber um unser Bewußtsein für
die Kostbarkeit und Besonderheit des Wassers? Es ist in unseren
Breiten reichlich vorhanden, wird auf Felder und gemähte
Rasenflächen gespritzt, kommt in super-vulkangefilterter
Qualität über tausende von Kilometern in Plastikflaschen
in den Laden und strömt aufbereitet aus Wasserhähnen
in Küchenspülen und Luxusbadewannen. Von dort gurgelt
es verschmutzt in die Unsichtbarkeit irgendeiner Kläranlage,
vereint sich mit toten Industrieabwässern, und strömt
in die Ozeane. Da geht es uns anders als 6000 Menschen, die
täglich unter anderem durch die von uns verursachte Klimakatastrophe
an den Folgen von verunreinigtem Wasser sterben. Jeder 5. Mensch
hat heute nicht genug Trinkwasser, bis zum Jahr 2025 wird es
mehr als die Hälfte der Menschen sein - wenn wir nichts
unternehmen (siehe
www.menschenrecht-wasser.de). Kriege um Wasser, das kostbarer
als Öl sein wird, sind uns vorhergesagt. Unsere öffentliche
Wasserver- und Entsorgung wird derzeit von den verschuldeten
Gemeinden an internationale Konzerne verkauft, wird zum Privateigentum.
Der Nahostkonflikt ist u.a ein Konflikt um Wasser: Zu dem wenigen
den Palästinensern verbliebenen Land zählten einst
die reich sprudelnden Jordanquellen, die durch die Siedlungspolitik
nun längst in israelischer Hand sind. Während die
eine Seite ihre Swimmingpools damit füllt und ihre Plantagen
in der Wüste bewässert, darf die andere Seite auf
die eine Stunde am Tag (und manchmal nicht einmal das) warten,
wo das Wasser angestellt wird. Duschen, Kochen, Waschen - alles
muß in dieser Zeit passieren.
Aber Wasser ist auch Symbol und Hoffnungsträger
für Veränderung. Weiches Wasser höhlt den Stein.
Stetig. Wasser ist mächtig und gewaltig wie die Meereswogen
und zugleich anpassungsfähig. Es fügt sich scheinbar
in die vorgegebene Form und hat dennoch zu seiner Zeit seine
Arbeit getan. Vertrauen und tiefe Weisheit entsprechen der Qualität
des Wassers in der chinesischen Medizin. Viel hat es gemeinsam
mit Frauen und ihrer Art, die Dinge zu bewegen.
Wann haben wir das letzte Mal an einer Quelle gesessen, ihrem
Gemurmel zugehört oder ihr ein Lied gesungen, wann eine
Gabe zum Fluß gebracht, im Regen getanzt? Wann sind wir
das letzte Mal für das Menschenrecht Wasser auf die Straße
gegangen - vielleicht mit einem Wassertanz? Erinnern wir uns,
daß es möglich ist, Wasser herbeizutanzen! Erinnern
wir uns, daß ein Tanz getanzt - wie ein Stein ins Wasser
geworfen - Kreise zieht! Laßt uns wieder mit unseren FreundInnen/Kindern/Familien
zur Quelle des Lebens gehen, aus der wir alle kommen und von
der alle Menschen auf der Erde das Recht haben zu trinken.
© Birgit
Wehnert, Edertal/Kassel 2005, www.kreistanzen.de
erschienen in: Kreise Ziehen 3/2005
Literaturauswahl:
Masaru Emoto: Messages from Water, Bd. 1 und 2
Marija Gimbutas: Die Sprache der Göttin
Barbara Hutzl-Ronge: Quellgöttinnen, Flußheilige,
Meerfrauen
Uno Holm: Das Wasser des Lebens
Hanna Moog (Hrsg.): Die Wasserfrau (Märchen und Sagen)
Hanna Strack: Reise zu den Quellen
Karl Weinhold: Die Verehrung der Quellen, Richard Beil: Kinderherkunft
und Kinderbringer in: Kurt Derungs u.a.: Mythologische Landschaft
Deutschland
Atlas der Globalisierung
Weitere Internet-Seiten zu Wasser
www.worldwatercouncil.org
www.oieau.fr
www.unesco.org/water/ihp
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Tänze und Gesänge
der Vogelgöttin
Immer möchte
ich auffliegen, mit den Zugvögeln fort;
Buntatmen mit den Winden
In der großen Luft
(Else Lasker-Schüler)
Während ich dies schreibe, ziehen sie wieder
über mein Haus: wunderbare V-Formationen von Kranichen.
In der bitteren Kälte und dem strahlenden Licht des Februars
lassen sie uns wissen, daß der Frühling nicht mehr
weit ist. Ihre Rufe lösen eine ungeahnte Freude, Sehnsucht
und Hoffnung aus. In den Dörfern des Taunus, in der Rhön,
in Nordhessen: überall habe ich erlebt wie Menschen aufgeregt
auf die Straße laufen und ihre Nachbarn herbeirufen, wenn
der Zug der Kraniche naht: "Die Schneegänse kommen,
die Schneegänse kommen" (denn im Herbst kündigen
sie den ersten Kälteeinbruch des nahenden Winters an).
Aber auch wenn ein Trupp halbwilder Schwäne die Eder entlang
fliegt, halten Spaziergänger fasziniert inne, um dem singenden
Geräusch ihrer schweren Flügelschläge zu lauschen
und ihre Flugformation zu bewundern. Eben noch haben sie aus
unbekannten Weiten kommend den Himmel berührt, schon lassen
sie sich auf dem Wasser nieder, ziehen das markante V, in dem
sie geflogen kamen, nun schwimmend hinter sich her und gründeln
mit ihren langen Hälsen in der dunklen Tiefe - wahre VerbinderInnen
der Welten! Auf der Erde kommt das V so deutlich ansonsten nur
als Schoßdreieck auf dem weiblichen Körper vor und
verheißt dort wie am Himmel die Erneuerung des Lebens,
das Mysterium von Leben/Tod/Wiedergeburt.
Seit der Altsteinzeit gibt es daher von Sibirien
bis Spanien die Darstellung von Mischwesen halb Frau halb Vogel.
Häufig sind es Zugvögel wie Schwäne und Kraniche
oder andere Wasservögel, die einen Frauenkörper haben,
weibliche Zeichen wie Brüste und Schoßdreieck tragen
oder mit symbolischen V-Zeichen als Halsschmuck, auf ihrem Körper
oder Rock gekennzeichnet sind. In den Symbolkreis der Vogelfrauen
gehören auch Eulen, Raben und Geier, Nacht-, Aas- und Raubvögel,
die den Aspekt des Todes als Bestandteil des Lebenszyklus verkörpern.
Die bekannte Archäologin Marija Gimbutas
(Die Sprache der Göttin) hat sich ausführlich mit
dieser Symbolik befaßt und sie vor allem für die
Jungsteinzeit in dem von ihr so genannten Alt-Europa beschrieben.
Ihr war beim Studium der Ausgrabungen Osteuropas, des Balkan-
und Mittelmeerraumes - Gegenden aus denen viele unserer traditionellen
Tänze stammen - aufgefallen, daß es Hunderte von
"Wasser- und Vogelgöttinnen" gibt, und daß
Gefäße und Frauenidole häufig mit V- und W-Zeichen
verziert sind. Diese Motive wiederholen sich wie eine Kultsprache
über einen Zeitraum von mehreren tausend Jahren hinweg
(8000 bis ca. 500 vor Chr.) und über ein Gebiet, das von
Spanien bis Sibirien von Nordeuropa bis zum Vorderen Orient
reicht. Heute noch begegnet uns das Vogelthema in verschlüsselter
Form in der Volkskunst sowie in unzähligen Märchen
und Mythen. Wer von uns kennt nicht Geschichten von Schwänen,
die sich in Frauen verwandeln (oder umgekehrt), vom Storch/Adebar,
der als Begleittier der Holle die Kinder aus der Quelle des
Lebens holt, von Freya im Schwanenkleid, vom Glauben an den
todverkündenden Ruf des Käuzchens, vom Raben, der
die Weise Frau (die später als Hexe abgewertet wurde)
begleitet.
Aus tänzerischer Sicht ist faszinierend,
daß wir die Symbole der Vogelgöttin (die eng mit
dem Wasser verbunden ist) überall in unseren Tänzen
wiederfinden: Wir zeichnen unentwegt die V- und W-Muster mit
unseren Schritten auf die Erde, halten uns in dieser Weise an
den Händen und tanzen mit unseren Kreistänzen das
Auf und Ab des Lebens! Es sind sogar noch eine Reihe von expliziten
Vogeltänzen überliefert. Bekannt ist der vermutlich
sehr alte griechische Tsakonikos/Geranos (Kranich) mit
seiner Verbindung zum Labyrinth, das den Zug dieser Vögel
symbolisieren soll. Von alten Labyrinthen (z.B. Stolp in Pommern)
wird berichtet, daß sie in einer Art "Kiebitzschritt"
begangen und betanzt wurden. Kein Wunder, denn es gibt tatsächlich
mehrere Vogelarten, die tanzen, und das sogar im Kreis! Berühmt
ist der Gruppentanz der Kraniche. Ein Forschungsbericht aus
dem 19. Jahrhundert beschreibt eine Szene, in der ein Innuitknabe
einem Trupp wilder Kraniche auf der fellbespannten Oberfläche
seines Kajaks eine Melodie vortrommelte. Dabei sollen die Vögel
genau im Takt getanzt haben! (Ziswiler). Ich glaube, daß
Menschen das Tanzen von den Tieren gelernt haben, insbesondere
von den Kranichen, die auf allen Erdteilen verbreitet sind.
Tatsächlich kennen viele Kulturen heute noch irgend eine
Art von Kranichtanz (s. den Kranichtanz der Watussi-Mädchen
in Gabriele Wosien, Tanz im Angesicht der Götter)
Heutige TänzerInnen/ChoreografInnen wie
die Armenierin Shakeh Avanessian haben auf diesem alten naturreligiös
inspirierten Hintergrund Tänze geschaffen, die mich tief
berühren. Garabneri Bar (Schwanentanz), Grounkner
(Kranich) und andere Vogeltänze in der lyrischen armenischen
Tanztradition helfen mit ihren Arm- und Körperbewegungen
die Verbindung zwischen Himmel und Erde herzustellen und das
Göttliche auf die Erde zu inkarnieren. Uns schwant,
daß es hier nicht um grazile Schönheit geht, sondern
um die Anbindung an eine archaische weibliche Kraft und einen
ganz besonderen Zauber, der seinen Ursprung im sibirischen/fernöstlichen
Schamanismus hat. (Spuren davon tauchen noch im klassischen
Ballett auf, allerdings sehr entfremdet und gezähmt). Schwäne
sind ein Symbol großer spiritueller Kraft. Wie Kraniche
und andere Zugvögel stehen sie auch für die Verbindung
zur Heimat, zu dem was wir ersehnen und suchen und am Ende unserer
Reise finden werden. Jeder einzelne Schritt im Tanz beinhaltet
gleich dem Vogelflug die Möglichkeit des Aufbruchs, die
Suche nach dem Grund, der uns trägt, und schließlich
die Heimkehr zur eigenen Mitte.
Aus einem Schwanenflügelknochen ist das
mit 35000 Jahren bislang älteste Musikinstrument der Erde
gefertigt: eine kleine Flöte, die in der Geißenklösterle-Halbhöhle
bei Blaubeuren gefunden wurde.
In Vogeltänzen entsteht durch die synchronen
Bewegungen oft ein starkes Gefühl von Gemeinschaft, etwa
durch das gemeinsame Springen im Geranos, bei dem auch
die eigenwillige Musik als Ohrwurm noch lange nachwirkt. Einziges
Instrument sind dabei Frauenstimmen, deswegen kann der
Geranos als reiner Frauenkulttanz betrachtet werden.
Auch die unzähligen Syrtostänze beziehen sich,
wie in dem Wort "syre" (ziehen) noch erhalten ist,
ursprünglich auf den Vogelzug in Verbindung mit dem Erneuerungssymbol
des Labyrinths (Kerenyi).
Neuere Tanz-Schöpfungen wie White Bird (Weiße
Taube) von June Watts knüpfen an die Bedeutung des heiligen
Vogels der Aphrodite an, der zum Symbol für die gesamte
Friedensbewegung geworden ist. Anastasia Geng hat uns schließlich
mit Puce einen Eulentanz hinterlassen, mit dem sie an
ein altes Ritual aus ihrer lettischen Heimat erinnert.
In Mythologie und Volkskunst sind Vögel
die häufigsten Begleittiere von Frauen, sie verkörpern
das Göttlich-Weibliche oder sie begleiten es als Botentiere.
Gleich einem Glaubensbekenntnis finden wir diese BotInnen und
ihre Zeichen nicht nur in unseren Tänzen, sondern auch
auf Gefäßen, Ostereiern, im Fachwerk-Kratzputz (Mittelhessen),
auf vielen traditionellen Textilien und Trachten Europas, wo
sie meist symmetrisch auf dem Baum des Lebens sitzen. Der Faszination
des Göttlich-Weiblichen in Vogelgestalt kann sich auch
das Christentum nicht entziehen. Die Heilige Geistkraft wird
verkörpert von der Taube, die über allem schwebt.
Sie gilt in der Theologie als weibliches Antlitz Gottes - die
Ruach - Hauch und göttlicher Atem, Kraft, die alles durchdringt
und beseelt. Zu einem wunderbaren Lied der christlichen Frauenbewegung
habe ich ihr mit einem einfachen bulgarischen Schrittmuster
einen Tanz gewidmet: "Ruach - Atem und
Wind, Atem und Wind, erfülle unsere Herzen".
Vögel bedeuten so vieles. Wie wichtig sie
den Menschen waren, erkennen wir an Schöpfungsmythen, in
denen das Leben von einer Vogelfrau oder von einer Frau mit
Hilfe eines Vogels (wie im finnischen Kalevala) geschaffen wird.
Sie sind TrägerInnen der menschlichen Seele, auch über
den Tod hinaus, sie wissen zwischen den Welten zu reisen und
Botschaften zu überbringen. Sie verheißen uns das
Recht auf Freiheit, Frieden und Liebe, auf Nestwärme und
soziales Miteinander.
Als Zugvögel geben sie uns das Versprechen
des ewigen Zyklus von Werden und Vergehen - der Wiederkehr.
Sie verbinden uns immer wieder mit der Wildnatur draußen,
von der wir uns so weit entfernt haben. Sie kennen keine Grenzen
und Zäune (höchstens um sich darauf zu setzen). Als
ungezähmte Tiere besuchen sie uns freiwillig in den Städten
in unseren selbst geschaffenen Gefängnissen und wecken
in uns die tiefe Sehnsucht nach unserem wahren Sein, nach unserem
Bündnis mit der Wildnatur. Jeden Morgen aufs Neue singen
sie uns ihr Lebenslied, begleiten sie uns mit ihren Melodien
durch das ganze Jahr und erfüllen uns mit Zuversicht. Sie
beflügeln und ermutigen uns, unseren Schnabel aufzumachen
für unseren eigenen Gesang und unsere Stimme zu erheben
für Gerechtigkeit auf der Erde. In dem griechischen Lied/Gedicht
von Manos Eleftherion, zu dem wir den Freiheitstanz Trias
tanzen, steht ihr Bild für den Widerstand gegen die Diktatur:
"und wenn sie mir auch die Stimme und mein Leben nehmen,
werde ich doch in meinem Blut bleiben, es wird zu Wasser werden
und die Vögel werden davon trinken".
In Liedern wird auch die innige Verbindung "Frau
und Vogel" deutlich. Frauen unterhalten sich mit Kranichen,
Nachtigallen, Tauben und anderen Vögeln über das,
was sie bewegt. Ein altes deutsches Lied erzählt uns von
der Frau, die ihre Freiheit höher schätzt als Gold,
Seide und Sicherheit: "Es saß ein klein wild Vögelein..."
Ein wunderschönes Lied der englischsprachigen Frauenbewegung
lautet.
A river of birds
in migration
is a nation of women with wings Ein Strom von Vögeln auf
Wanderschaft
ist eine Nation von Frauen mit Flügeln
(Beim Singen gibt's bei mir immer eine
Gänsehaut!) "Fly like an eagle - Flieg
wie ein Adler, flieg so frei, kreise in den Lüften, kreise
in den Lüften, auf Flügeln goldnen Lichts"
schließlich ist ein Lied der nordamerikanisch-indianischen
Tradition, in der die spirituelle Kraft vom Adler/der Adlerfrau
verkörpert wird. Auch dort sind entsprechende Vogeltänze
überliefert.
Wenn wir als Frauen/Menschen Tänze der Vogelgöttin
tanzen und ihre Lieder singen, verbinden wir uns mit der Erinnerung
an unsere göttliche Gabe, zwischen den Welten zu vermitteln,
das Leben auf dieser Erde immer wieder zu erneuern, Gemeinschaft,
Liebe und Frieden in Freiheit zu verwirklichen. Wir bekennen
uns auch zum scharfen Blick und Schnabel der Adlerfrau, die
sich nicht alles gefallen läßt. Wir bekennen uns
zur Not-Wendigkeit des Wandels und des Todes. Wir bekennen uns
zum Tanz des Lebens, der einzigartig von den Kranichen im Kreis
getanzt wird, mit einem Gefühl für den Rhythmus des
Lebens, das ans Wunderbare grenzt.
©
Birgit Wehnert 2004, Edertal/Kassel, www.kreistanzen.de
erschienen in Kreise Ziehen 2/2005
Zugvögel brauchen unsere Unterstützung:
www.euronatur.de,
www.kranichzug.de,
www.storchenzug.de
Anregungen: Film und Buch Nomaden der Lüfte, W. Mewes u.a.:
Kraniche, CD Women with Wings, Carien Wijnen, H. Helm: Die Feste
der Adlerfrau
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Tanzende Ahninnen
Am Anfang war der Tanz
Älter als meine Tanzleidenschaft ist
meine Begeisterung für Frauengeschichte. Als Mitbegründerin
des Frauenmuseums Wiesbaden teile ich heute diese Liebe (besonders
für Ur- und Frühgeschichte) in Tanzseminaren und auf
Reisen.
In meiner Forschung wurde mir sehr bald deutlich, daß
der Tanz in unserer frühen Geschichte eine große
Bedeutung hat. Tanzend ist in vielen Schöpfungsmythen die
Welt von einer Frau erschaffen worden (im griechischen Mythos
tanzt Eurynome einsam auf dem Wasser, verwandelt sich zur Vogelfrau
und legt das Weltenei, aus dem alle Dinge fallen). Die großen
jungsteinzeitlichen Steinkreise der britischen Inseln sind von
Legenden über tanzende (aus christlicher Sicht gottlose!)
Frauen umgeben und heißen dementsprechend z.B. Merry Maidens,
so wie die bronzezeitlchen Labyrinthplätze Skandinaviens
manchmal Jungfrudanser heißen.
Im Laufe der Jahre habe ich mich immer tiefer
in die Geschichte hineinbewegt und bin schließlich in
der Altsteinzeit mit ihren wunderbaren geritzten und bemalten
Höhlen angekommen, wo der Geist der Tiere in zauberhaften
Höhlenräumen - im Schoß der Erde - den Tanz
des Lebens tanzt, wo die Schöpfung noch eins ist, wo Mensch,
Tier, Erde und Kosmos noch eine tiefe Verbindung miteinander
haben. Dort habe ich erkannt, daß die Menschen das Tanzen
von den auf der Erde wandernden und tanzenden Tieren (wie etwa
den Kranichen, von denen uns ja immer noch Tänze erhalten
sind) und den am Himmel wandernden Sternen gelernt haben. Die
Verwandlung von Menschen in Tiergestalt ist üblich im jahrtausendealten
Schamanismus und wird meist durch Tanz, Trommeln und Gesang
begleitet und induziert. Diese Praxis heilt und bringt das Leben
wieder ins Gleichgewicht, erschafft damit die Welt immer wieder
neu. Auch wenn infolge der Patriarchalisierung heute das Schamanisieren
oft von Männern ausgeübt wird, bezieht sich das sibirisch-ewenkische
Wort doch ursprünglich auf eine Frauenpraxis, und Männer
legen zum Schamanisieren häufig Frauenkleider an oder vollziehen
einen Geschlechtswechsel (ganz wie unsere Priester!). In vielen
Kulturen gelten Frauen als besonders begabt zu schamanisieren.
In den Märchen verwandeln sie sich immer noch spielend
in Schwanen- und Hirschkuhgestalt oder erlösen andere aus
ihrer Tier-Verzauberung. Häufig wird dieses Amt/diese Gabe
von der Mutter auf die Tochter/ihre Kinder vererbt.
Als deutsche Frau habe ich es immer sehr
bedauert, daß wir durch Hexenverfolgung und Aufklärung
soviel von unseren Tänzen, unserer alten Reigentradition
und Frauengeschichte verloren haben. Wie habe ich mich gefreut,
die weltweit ältesten Zeugnisse des Kreistanzes und des
schamanischen Schöpfungstanzes ausgerechnet in Deutschland
zu finden! Erst in den siebziger Jahren hat man im Rheintal
bei Neuwied-Gönnersdorf einen 15500 (fünfzehntausend
!) Jahre alten steinzeitlichen Siedlungsplatz ausgegraben. Diese
Freilandsiedlung unserer sammelnden und jagenden AhnInnen wurde
durch einen glücklichen Umstand, nämlich den Ausbruch
des Laacher See-Vulkans mit Asche bedeckt und dadurch teilweise
erhalten.
Man fand Reste von drei jurteartigen Zelten, deren Fußböden
mit vielen kleinen Schieferplättchen bedeckt waren, welche
allerfeinste Ritzungen aufweisen. Neben zahlreichen Tieren sind
über 400 tanzende Frauen dargestellt: einzeln, einander
gegenüber (insgesamt 13 Frauenpaare) und schließlich
im Kreis bzw. der Reihe! In kleinen Gruben wurden weitere aus
Mammutelfenbein geschnitzte Frauenfiguren gefunden. Die abstrakte
Darstellung tanzender Frauen (mit betonten Gesäß)
ist zu jener Zeit in halb Europa verbreitet und entsprechend
diesem besonderen Fundort wird sie auch in französischen
Höhlen und anderswo als "Typ Gönnersdorf"
bezeichnet.
Die dargestellten Frauentänze stehen
vermutlich in Verbindung mit Initiationsritualen von Frauen.
Einmalig ist auch der Fund einer kleinen Flöte aus der
Geißenklösterle-Halbhöhle bei Blaubeuren, die
aus dem Flügelknochen eines Singschwans (!) gefertigt ist.
Sie ist doppelt so alt wie die Gönnersdorfer Tänzerinnen
- etwa 30000 Jahre. Wir können uns also vorstellen, daß
die Frauen neben ihrer Stimme auch Flöten und Trommeln/Rhythmusinstrumente
aus vergänglichem Material für ihre Tanzmusik genutzt
haben. Der Anteil der dargestellten Männer liegt für
die Steinzeit weit unter 10%, in Gönnersdorf etwa finden
wir ausschließlich Tänzerinnen. Während eines
Zeitraumes von 30000 Jahren sind Frauen als wesentliche Schöpferinnen
und Trägerinnen von Kult und Kultur abgebildet.
Wenn ich tanze und Tänze weitervermittle
so bin ich mir bewußt, daß ich mich mit meinen MittänzerInnen
nicht losgelöst in Raum und Zeit bewege, sondern daß
ich mich in eine lange kostbare Tradition, in ein Energiemuster
von Frauen vor mir und Frauen nach mir einordne. Ich verbinde
mich mit der Kraft und dem Wissen meiner Menschen- und Tier-AhnInnen,
die hinter mir tanzen. Von ihrer Weisheit für die Herstellung
des Gleichgewichts zwischen allen Wesen und für die Ehrung
der weiblichen Schöpfungs- und Wandlungskraft kann ich
lernen und genau wie sie im Tanzkreis die Jahrtausende alte
Welt immer wieder neu erschaffen.
Jetzt und Hier.
©
Birgit Wehnert 2003, Edertal/Kassel,
www.kreistanzen.de
erschienen in Kreise Ziehen 4/2003
Die Gönnersdorfer Ausgrabung
ist im Museum für die Geschichte des Eiszeitalters im Schloß
Monrepos bei Neuwied ausgestellt (leider nur eine kleine, dafür
aber besonders schöne Auswahl der Tanzenden) Tel. 02631-9772-0
www.museum-monrepos.de
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